09.05.2016 · Vor 100 Jahren wurde Ferruccio Lamborghini geboren. Die Autos unter dem Zeichen des Stiers sind heute wild und schnell wie noch nie. Vom Traktorenbauer zum Herausforderer von Ferrari.
Er hieß anders, aber nennen wir ihn Orazio. Wir waren mit ihm nördlich von Rom, in der Nähe des Lago Trasimeno unterwegs, um einen Raupenketten-Traktor zu kaufen. Orazio war Mitte der siebziger Jahre ungefähr 65 Jahre, seit kurzem Rentner und Milliardär. Zwar in Lire, aber immerhin. Er hatte sich seine Anteile an einer kleineren italienischen Privatbank auszahlen lassen und war besessen von der Idee, sich in der Toskana ein bäuerliches Anwesen zu kaufen, um eine Landwirtschaft zu betreiben. Orazio hatte seinen Dienstwagen mitgenommen, und wir schaukelten mit der etwas älteren Lancia Flaminia Berlina 2.8 im Jahr 1976 ein paar Tage nach Ostern zu einer größeren Verkaufsausstellung für landwirtschaftliche Geräte.
Rund dreieinhalb Millionen Lire hatte die würdige Flaminia mit ihren angedeuteten Heckflossen hinten, dem 2,8-Liter-V6 unter der Haube und den Scheibenbremsen an allen Rädern gekostet. Dank 130 PS waren 175 km/h möglich, die Flaminia war viel schneller als der Traktor, aber dieser würde teurer sein, es war, so Orazio, der beste, den es geben konnte, aus italienischer Produktion, versteht sich.
Er wollte einen Lamborghini C553 erwerben, ein ziemliches Monstrum; weil sein Bauernhof in schwer hügeligem Gelände lag, erschienen die Raupenketten als notwendig. Wir sollten bei diesem Traktorkauf einem Mann begegnen, der damals wenige Jahre zuvor mit einem Teil seiner industriellen Aktivitäten gescheitert und dennoch auf dem geraden Weg zu einer legendären Erscheinung war: Ferruccio Lamborghini, der in diesen Tagen des Jahres 2016, am 28. April, hundert Jahre alt geworden wäre, geboren 1916, während des Ersten Weltkriegs.
Auch Lamborghini war 1976 schon sechzig, aber er ging in der Verkaufshalle zwischen den Arbeitsgeräten mit der selbstverständlichen Grazie eines etwas schweren Mannes, der schwarze Schnallenschuhe ohne Autoritätsverlust tragen konnte. Auf dem Land geboren, im Dorf Renazzo in der Emilia-Romagna, aus bäuerlichen Verhältnissen kommend, wird ihm Intelligenz (Bauernschläue?), technisches Verständnis und der Wille zum gesellschaftlichen und finanziellen Aufstieg zugesprochen. Er studierte, war ein pfiffiger Kerl, der Krieg kam dazwischen, Lamborghini lernte in der italienischen Luftwaffe den Umgang mit dem technischen Mangel, das kam ihm später zugute, als er seiner Vision folgte: aus altem Kriegsgerät neue Maschinen für die Arbeit der Bauern zu schaffen. Also quasi Schwerter in Pflugscharen wandelte.
Und damit begann der unaufhaltsame Aufstieg des Ferruccio L., er hatte wohl ein dichtes Technik-Grundverständnis, baute kleine Zugmaschinen für die Bauern, dann Traktoren, gründete 1949 seine erste Fabrik und begann eigene Nutzfahrzeuge und Motoren zu entwickeln und auf die Räder zu stellen. Im Grunde tat Lamborghini das, was die Italiener noch heute auszeichnet: Er bastelte und werkelte auf hohem Niveau, nahm dafür das, was er hatte, war unendlich kreativ dabei, nutzte seine Kontakte und improvisierte, wenn es nicht mehr weitergehen wollte. Er griff weiter aus, wurde reich, die Traktoren waren erfolgreich, er produzierte Heizgeräte und Klimaanlagen, gründete weitere Unternehmen, lebte unter dem Druck des erfolgreichen Industriellen, genoss Anerkennung und Ansehen und spürte alsbald neben der Nähe zur Weiblichkeit eine weitere Leidenschaft, die tief im Wesen des italienischen Mannes wurzelt: die Sehnsucht nach dem ultimativen Auto und dessen Steigerung, nämlich des nach eigenen Vorgaben konstruierten und gefertigten Autos.
Lamborghini war nicht maßlos, aber selbstbewusst, und seine Erfolge in der Vergangenheit machten ihm Mut. Mit Sportwagen Geld zu verdienen, das erschien ihm verlockend. Zudem hält die Lamborghini-Saga noch die Abfuhr durch Enzo Ferrari bereit, der ihm einen Gesprächstermin verweigert haben soll. Ferruccio habe sich gekränkt gefühlt, heißt es, und in seiner mitunter aufbrausenden Art beschloss er die Gründung seiner eigenen Automarke und den Bau einer neuen Fabrik in Sant'Agata. Natürlich ein Sportwagen sollte es sein, natürlich mit zwölf Zylindern, mit einer anspruchsvollen Leistung, nämlich rund 360 PS, und einer Vergaserfabrik unter der Haube. Unter dem Lamborghini-Markenzeichen des angreifenden Stiers versammelten sich herausragende Ingenieure wie Motorenmann Giotto Bizzarini, später Technikgenie Gian Paolo Dallara und noch viel später jener Formenkünstler, dessen Wirken noch heute zu ahnen ist: Der Designer Marcello Gandini, damals in Diensten von Bertone, entwarf den Lamborghini Countach.
© Kim Sayer / CORBIS Der Keil des Marcello: Bertone-Designer Gandini formte mit dem Countach die italienische Liebe zur Geometrie.
Das war ein kompromissloser, radikaler Sportwagen. An ihm sind nur die Räder rund, eine Herausforderung für jeden, der versuchte, mit ihm wirklich schnell zu fahren. Heute ist er eine Ikone der weltweiten Sportwagen-Fans, in Amerika ist er in etlichen Diversifikationen unterwegs, und nicht jede darf als Vorbild für guten Geschmack gelten.
Allen Lambos war der klare Auftrag zu eigen: Wir machen die Dinger von Enzo F. schon im Stand nieder. Doch der Countach fuhr in den Lamborghini-Niedergang hinein, etwa zehn Jahre nach dem Beginn der Sportwagen-Idee. Im Vergleich zum Countach geriet der Sport-Start mit dem 350 GT eher konventionell. Aber der V12 war das mitunter launische, wilde Tier. Es lebte von vier obenliegenden, mit Ketten gesteuerten Nockenwellen und sechs Weber-Doppelvergasern; wer die unter der Haube gefangene Maschine mit ihren Ansaugtrichtern und den zierlichen Uhrmacherverschraubungen je sah oder ihren bellenden Schrei mit einem explodierenden Gurgeln - es war der Ruf eines Gladiators nach Blut und Freiheit - jenseits von 6000 bis 7000/min hörte, musste seine Tränen der Ergriffenheit trocknen und gelobte, nie wieder einen Diesel zu fahren.
- © Imago Für besondere Augenblicke: Der 350 GT
- © Car Culture/Car Culture/Corb Dünnes Holzlenkrad, eine schöne Uhrensammlung nebst Schaltstummel, der 350 GT war ein Wagen zum Genießen und Gleiten.
Es folgten diverse Miura-Varianten, der 3,9-Liter-V12 mit bis zu 385 PS hockte quer hinter den Sitzen, von 1966 bis 1972 entstanden insgesamt knapp 800 Exemplare, jedes davon ein für die damalige Zeit, und darüber hinaus, ein unvergleichlicher Mittelmotor-Sportwagen. Es gab nüchternere Lambos, wie den Islero oder den viersitzigen Espada. Der wirkt auf den ersten Blick wenig gelungen, zunächst etwas dicklich, man versteht ihn erst nach längerer Beschäftigung, er verschlankt sich im Auge des Betrachters, und dieser wird im Anschluss daran von Begeisterung überwältigt. Er wurde bei Nuccio Bertone eingekleidet und in immerhin rund 1200 Exemplaren gebaut, wurde bis 1978 aufgelegt. Aber da war Ferruccio Lamborghini von seiner Firma bereits getrennt.
- © Picture-Alliance Lamborghini Miura 4 litre V-12 coupe
- © Picture-Alliance Lamborghini Espada 400 GT 2, 3.929 ccm, 257 kW / 350 PS, Baujahr 1951
Schon 1961 war die Automobili Ferruccio Lamborghini SpA gegründet worden. Lamborghini begann sie zehn Jahre später und nach einigen der tollsten Sportwagen aller Zeiten zu verlieren, allgemeine Wirtschafts- und spezielle Management-Schwächen kommen als Gründe in Frage. 1974 trennte er sich vom Rest seiner Autoaktivitäten, in der Folge wechselten die Lambo-Eigner und -Teilhaber, bis hin zu Chrysler. In diesen Jahren wurde bei Lamborghini mit dem LM 001 der übermotorisierte Sport-Geländewagen erfunden. Damit und mit dem erfolgreichen Diablo hatte Ferruccio nur noch sentimental zu tun. Unter den Fittichen von Audi (mit dem Einfluss des omnipotenten Ferdinand Piëch) zog schließlich im Sommer 1998 deutsche Stabilität in Sant'Agata ein. Sie hält mit großem Erfolg mit diversen Leistungsmonstern bis in die Gegenwart hinein an.
Ferruccio konzentrierte sich zum Ende der siebziger Jahre auf das Leben, auf die nahr- und schmackhafte Küche der Emilia-Romagna und auf seinen Wein. Lamborghini hatte seine Auto-Träume ausgeträumt, er sammelte leidenschaftlich Autos, die seine Namen trugen, und Ende 1993 wurden seine Herz-und-Kreislauf-Probleme offenkundig. Beinahe wäre er noch 77 geworden, aber er starb am 20. Februar 1993.
Unser Freund Orazio erwarb seinen Lamborghini-Traktor und ließ ihn auf einem Tieflader in die Toskana schaffen. Der war tatsächlich ein Allesüberwinder, ein Arbeitstier. Doch kühlte Orazios Neigung zum Leben und Arbeiten auf dem Land rasch ab, er war Banker und kein Bauer. Ländereien und Traktor verkaufte er komplett, und die Familie wurde wieder sesshaft in der italienischen Hauptstadt. In der Wohnung im alten Viertel Trastevere lagern noch etliche Kartons mit dem guten Roten von Ferruccio. Einem Mann, wie er nur aus Italien kommen kann.
- © Picture-Alliance Lamborghini Veneno, vorgestellt auf dem 83. Autosalon in Genf 2013
- © Picture-Alliance 2013 in Jinhua, China: ein goldener Lamborghini
- © Picture-Alliance Ein Lamborghini Gallardo der Polizia di Stato, 2006
- © Picture-Alliance 2013 als Polizeiwagen in Dubai unterwegs: Lamborghini Aventador